Sonntag, 11. Oktober 2009

Stadt des Unglücks/Glücks?


Stadt des Unglücks?

„Sommerhauptstadt“, „Südliche Hauptstadt“ (Aufschrift im Stadtwappen!), „Perle der Ukraine“, „Stadt des Glücks“, - - -
Welche wohlklingenden Bezeichnungen wurden nicht ausgedacht, um das Selbstwertgefühl der Einwohner zu heben, oder auch nur um deren Augen vor den wahren Zuständen zu vernebeln.
Entgegen allen anders lautenden Äußerungen drängt sich der Eindruck auf, dass ausländische Investoren kein wahres Interesse daran haben, ihr vielleicht sauer und ehrlich verdientes Geld hier anzulegen. Gerne nimmt man jedoch an entsprechenden Foren teil, eröffnet sich doch die Möglichkeit, sich mit den örtlichen Schön-heiten, (u.a. auch Sehenswürdigkeiten!), bekannt zu machen.
Viele Investoren haben im Grunde kein Interesse an der Schaffung von zeitgemäßer Infrastruktur, sondern nur an Grundstücken, auf denen mehrgeschossige Wohngebäude für anlagekräftige Neureiche gebaut werden sollen. Beispiele für solche, die meiste Zeit des Jahres leer stehenden Hochhäuser, gibt es bereits genügend.
Türken und Deutsche wissen, dass die Umwandlung der „Perle“ in eine Goldgrube auch die Erhöhung des Lebensstandards der einfachen Leute voraussetzt. Ein neugierig-kritischer Seitenblick, abseits der Uferpromenade, zeigt denn auch schnell das wahre Gesicht und den Zustand der Infrastruktur.
Über die Details berichtet journalistisch korrekt und erstaunlich mutig eine junge Mitarbeiterin des Jaltaer Kuriers. Hier die von ihr aufgegriffenen Fakten zu wiederholen, wäre des schlechten zuviel, denn es sollen ja keine Leute abgeschreckt werden. Was ich ziemlich unvollständig aus eigener Feder zur „Stadt des Glücks“ zu bemerken habe, folgt hier:


Stadt des Glücks

Sinn jeglicher Werbung ist es, die jeweilige Zielgruppe im Unterbewusstsein zu treffen und zu einem bestimmten Verhalten oder Denken zu bringen. Ist die Werbemethode nicht psychologisch ausgesprochen listig und ausgeklügelt, so tut es oft genug die schlichte Wiederholung oder das massenhafte Darstellen der Werbenachricht. Das menschliche Gehirn ist ziemlich einfach zu manipulieren.
Glück ist eine der menschlichen Empfindungen, die nicht konkret messbar und individuell sehr relativ sind. Ist dem Einen eine auf der Straße gefundene Münze ein Glück, so braucht es dem Anderen dazu schon den Sechser im Lotto.
Wenn eine Stadt wie Jalta mit dem Slogan „Stadt des Glücks“ wirbt, dann darf man getrost davon ausgehen, dass in allgemeiner Selbstüberschätzung und Verblendung den Verantwortlichen einfach nichts Besseres einfiel. Das aber bringen sie Einheimischen wie auch Gästen auf Schritt und Tritt ins Bewußtein. Dazu behilft man sich großer Reklameschilde, die im ganzen Stadtgebiet verstreut an strategisch wichtigen Stellen aufgestellt sind.
Als wichtigste Zielgruppe des Slogans können die Werbeleute die örtliche Bevölkerung nicht gemeint haben, denn gerade die ist es, die den gegenteiligen Sinn am schärfsten zu spüren bekommt.
Bleiben also nur die Gäste der Stadt, Touristen, die sich nur zeitweilig hier aufhalten und, Gott sei Dank, so möchte man sagen, kaum eine Chance haben, den falschen Inhalt der Werbung zu erkennen. Obwohl, nicht alle sind schließlich mit der rosaroten Brille im Urlaub ausgerüstet. Die könnten dann durchaus das eine oder andere „Glück“ aus eigener Erfahrung relativieren.
Wenn man, so wie ich, schon längere Zeit Gelegenheit hatte, das „Glück“ im persönlichen Bereich und am eigenen Körper zu verspüren, dann fällt es nicht schwer auszuformulieren, was denn eigentlich dieses Glück ist.

Also, Glück ist, wenn:
- man als Tourist zusammen mit seinem Gepäck ankommt,
- die Touristen zum Saisonbeginn endlich kommen,
- sie an dessen Ende endlich wieder gehen,
- man den Zebrastreifen überquert, ohne Opfer des feindseligen Verhaltens der Autofahrer zu werden,
- man in keinen Stau gerät,
- man im öffentlichen Verkehrsmittel oder auf den Märkten nicht beklaut wird,
- man einen Parkplatz findet,
- man am Strand Platz für sein Handtuch findet,
- das Meerwasser nicht zu kalt, zu warm oder zu schmutzig ist,
- das Hotelpersonal freundlich ist und wenigstens minimale Fremdsprachenkenntnisse hat,
- man in Geschäften und Restaurants zuvorkommend bedient wird,
- man in der Gastronomie eine Speisekarte auf Deutsch bekommt,
- man in Restaurants nicht bei der Rechnung betrogen wird,
- man sich keine ansteckenden Krankheiten bei den „leichten Damen“ einfängt,
- der billig auf der Straße eingekaufte Wein nicht gepantscht ist,
- man von den auf der Straße angebotenen „Delikatessen“ nicht krank wird,
- man nicht von Obdachlosen und Drogensüchtigen um Geld angebettelt wird,
- man rund um die Uhr Wasser in der Wohnung hat,
- der Nachbar von oben keine Überschwemmung verursacht,
- im Winter die Heizung so warm wird, dass man in der Wohnung keine zusätzliche Heizung einschalten muss,
- man auf dem Gehweg nicht auf „Tretminen“ stößt,
- im Hausflur weder Mensch noch Tier ihre Notdurft verrichten, niemand Kippen oder Einmalspritzen wegwirft und keinen anderen Müll hinterlässt,
- die Straße nach einem Regenguss passierbar bleibt,
- sich das Hausdach auch nach 25 Jahren noch als dicht erweist,
- beim Einkaufen kein Gefühl aufkommt, als würden Sie die Verkäufer bei etwas sehr Wichtigem stören,
- die Straßenbeleuchtung funktioniert,
- der Besuch irgendeines Amtes ohne Schmiergeldzahlung verläuft,
- Sie es mit dem Trolleybus innerhalb von 20 Minuten von der Haltestelle „Fünftes Quartal“ bis zur „Pionerskaja“ schaffen,
- Sie von der Verkehrspolizei ungeschoren bleiben,
- das Jahr ohne 100%ige Verteuerung im kommunalen Bereich vergeht,
- Sie im Müll etwas Brauchbares finden,
- Sie auf dem Immobilienbereich ein Schnäppchen machen können,
- Sie nach den Wahlen nicht das Gefühl haben, Ihre Stimme vollkommen umsonst abgegeben, bzw. die Falschen gewählt zu haben,
- Sie keine ärztliche Hilfe in Anspruch nehmen müssen,
- man einen Picknickplatz findet, an dem die Vorgänger keinen Müll hinterlassen haben,
- wenn die Rentenerhöhung die Inflationsrate ausgleicht,
- wenn die Vergünstigungen für Rentner nicht gestrichen werden,
--- und diese Liste ließe sich fast beliebig fortsetzen!

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